Höhere Löhne für Putzkräfte, Servicepersonal, Coiffeure und
Landwirtschaftshilfen haben ihren Preis. Und wie hoch genau wird der
sein?
Die Mindestlohninitiative ist auch eine Rechenaufgabe. Was passiert
in einem Restaurant, wenn eine Küchenhilfe neu 22 Franken pro Stunde
kostet? Um wie viel steigt der Preis für Reinigungsarbeiten, wenn das
Salär von Putzkräften auf 4000 Franken pro Monat gehoben wird? Der TA
hat Betriebsökonomen gebeten, den Taschenrechner hervorzunehmen.
Gastronomie
Aktuell
verdient dort jeder fünfte Angestellte weniger als das geforderte
Minimum. Der Mindestlohn für die tiefste Stufe liegt bei 3407 Franken
pro Monat bzw. bei 20.28 Franken pro Stunde (inklusive des 13.
Monatslohns bei einer angenommenen Arbeitszeit von 42 Stunden). Ein Ja
am 18. Mai zum «Schutz fairer Löhne» würde bedeuten, dass diese Saläre
angehoben werden müssten – um 8,5 Prozent innerhalb der dreijährigen
Umsetzungsfrist.
Was wären die Folgen? Berechnungen des
Unia-Ökonomen Beat Baumann zufolge würden die Kosten insgesamt um zwei
bis drei Prozent steigen. Dies in einem Musterbetrieb mit einem Chef,
fünf gelernten und fünf ungelernten Angestellten. Umgerechnet auf eine
Tasse Kaffee im Wert von 4.20 Franken wäre dies ein Kostenanstieg von 9
Rappen. In Saisonbetrieben mit gleichem Lohn, aber längeren
Arbeitszeiten, läge der Kaffeepreisanstieg bei 14 Rappen.
So weit
der direkte Effekt der Mindestlohnanhebung. Branchenvertretern zufolge
wäre dies aber noch nicht alles. Klaus Künzli, Präsident von
Gastrosuisse, befürchtet das Ingangsetzen einer Lohnspirale:
Mindestlöhne um 4000 Franken würden auf der nächsthöheren Lohnstufe
Begehrlichkeiten wecken. Für Personen mit Lehrabschluss liegt der
aktuelle GAV-Lohn bei 4108 Franken. Als realistisch erachtet Künzli eine
Differenz von mehreren Hundert Franken.
Angaben der Unia zufolge
arbeiten in der Gastronomie rund 46'000 Tieflöhner. «Die nötigen
Anpassungen wären durchaus tragbar», sagt Beat Baumann, «die finanzielle
Existenz des Durchschnittsbetriebs wäre in keiner Weise gefährdet».
Büroreinigung
Dieselbe
Schlussfolgerung gilt laut Baumann auch für diesen Bereich. Ab 2015
gilt hier ein Mindestlohn von umgerechnet 20 Franken pro Stunde. Höher
sind die Löhne in anderen Sparten wie der Spital- oder Spezialreinigung.
In einem Unternehmen, das Dienstleistungen in allen drei Bereichen
offeriert, würde die Initiative laut Baumann ein Kostenwachstum von 4,2
Prozent auslösen. «Das wäre zumutbar», urteilt er. Betriebe, die ihre
Büros von Drittanbietern reinigen lassen, würden diesen Anstieg
verkraften.
Kritischer sieht dies die Branche selbst.
Reinigungsunternehmer Karl Enzler beziffert das Kostenwachstum inklusive
Lohnanpassung für Arbeitskräfte knapp oberhalb der Minimallohnschwelle
auf 8 Prozent. Laut Enzler sind die Margen im Reinigungsgeschäft klein,
deshalb werde man diese Kosten nach und nach auf die Kunden überwälzen
müssen. Allerdings glaubt auch Enzler, dass die Kunden dies schlucken
würden. «Man kann Reinigungskräfte nur schlecht durch Roboter ersetzen.»
Zu einem Jobsterben in der Reinigung werde die Mindestlohninitiative
nicht führen.
Coiffeure
In
dieser Branche wäre ein Mindestlohn von 4000 Franken eine deutliche
Erhöhung zum aktuellen Lohnniveau. Im Gesamtarbeitsvertrag sind derzeit
3600 Franken pro Monat vorgegeben, für Angelernte sind es 3240 Franken.
Dies aber nur, sofern sie über einen Anlehr- oder Attestausweis verfügen
respektive eine mindestens zweijährige Ausbildung bei einer privaten
Fachschule absolviert haben. Das haben längst nicht alle Arbeitnehmenden
in dieser Branche. «In grenznahen Gebieten sind bei Unqualifizierten
Löhne unter 3000 Franken gang und gäbe», sagt Irene Darwich von der
Gewerkschaft Syna. Sie stellt sich auf den Standpunkt, dass die
Coiffeurbetriebe eine Anhebung des Mindestlohnes verkraften könnten,
«ohne dass sich das extrem auf die Preise auswirken müsste».
Dem
widerspricht Kuno Giger, Präsident des Verbandes des Verbandes Coiffure
Suisse: «Die Preise müssten um 20 Prozent angehoben werden, um einen
Betrieb weiterhin rentabel führen zu können.» Konkret: Für
Herrenhaarschnitte, bei denen sich die Preise laut Giger in der Schweiz
zwischen 18 und 80 Franken bewegen, käme das einem Aufschlag von 3.60
bis 16 Franken gleich.
Marc Riedo, der im Kanton Bern sechs
Geschäfte führt, will diese Schätzung nicht bestätigen. Schon heute
seien die Preisstrategien von Salons sehr unterschiedlich.
Schwierigkeiten bei einem Ja zu den Mindestlöhnen hätten laut Riedo vor
allem die Lehrabgänger und Wiedereinsteiger. Viele Geschäfte könnten es
sich nicht leisten, diese Angestellten ein Jahr lang durchzufüttern –
das heisst, sie in dieser Zeit querzusubventionieren, in der sie bereits
Kosten verursachen, aber noch keinen eigenen Kundenstamm haben.
Detailhandel
Hier
bezahlen die grossen Player wie Migros, Coop oder Lidl bereits heute
Mindestlöhne über 4000 Franken. Tiefer sind die Löhne in manchen
Bäckereien und Quartierläden sowie im Schuh- und Bekleidungshandel.
Besonders betroffen sind die Schweizer Filialen von internationalen
Bekleidungsketten: Als schwarze Schafe nennt die Unia regelmässig Namen
wie Zara oder Tally Weijl.
Maximal fünf Prozent würden die Kosten
dieser Läden steigen, schätzt Beat Baumann – dies, falls ein Geschäft
bisher den absoluten Tiefstlohn von monatlich 3200 Franken bezahlt hat.
Laut dem Ökonomen könnten die Läden diese Kostensteigerung selbst
abfangen, das heisst, von der bisherigen Profitmarge abziehen. In
diesem Fall würden die neuen Sneakers oder das modische Oberteil für die
Kunden nicht teurer. Tally Weijl war gegenüber dem TA für eine
Stellungnahme nicht verfügbar.
Landwirtschaft
Unter
allen Branchen verzeichnet die Landwirtschaft die krassesten
Diskrepanzen. Bauern stellen Tieflöhner dort ein, wo die Produktion viel
Handarbeit erfordert. Entsprechend würden die Kosten im Gemüseanbau
sowie dem Obst- und Weinbau hochschnellen. «Ein Mindestlohn von 22
Franken würde theoretisch einen Kostenschub von 450 Millionen Franken
auslösen», sagt Markus Ritter, Präsident des Schweizer Bauernverbandes.
Theoretisch – weil Ritter davon ausgeht, dass ein solcher Preisaufschlag
nicht überwälzt werden könnte: «Der Grenzschutz limitiert hier die
Preise gegen oben. Ein solcher Aufschlag liesse sich am Markt nicht
durchsetzen.» Gemessen am Produktionswert der Schweizer Landwirtschaft
von 9,5 Milliarden entsprächen die 450 Millionen einer Teuerung von 4,7
Prozent.
Der Mindestlohn liegt aktuell bei knapp 3170 Franken –
für eine 55-Stunden-Woche. Das ergibt einen Stundenlohn von 13 Franken.
Laut Schweizer Bauernverband verdient eine Arbeitskraft aus der Familie
in einem Landwirtschaftsbetrieb rund 15 Franken pro Stunde. «Wenn die
Bauernfamilie einem Angestellten 22 Franken pro Stunde bezahlen muss,
würde dieser rund die Hälfte mehr verdienen, ohne ein unternehmerisches
Risiko mitzutragen», argumentiert der Verband.
Angst vor Sozialfällen ...
So
weit also die Rechenbeispiele. Beim Mindestlohn geht es um mehr als
das. Es geht um Grenzregionen, wo «gewerbliche Zulieferbetriebe Probleme
bekommen werden, weil man sich die Waren und Dienstleistungen zunehmend
im Ausland beschafft», sagt Valentin Vogt, Präsident des
Schweizerischen Arbeitgeberverbandes. Es gehe um Mitarbeiter, die laut
Vogt mittelfristig zu Sozialfällen zu werden drohten, weil die Jobsuche
für niedrig Qualifizierte und Leistungsschwache zusätzlich erschwert
würde. «Jobvernichtungsmaschine» nennt Gewerbeverbandspräsident
Hans-Ulrich Bigler die Mindestlohninitiative. Die Gewerkschaften
betonen, es gehe bei den Mindestlöhnen auch um den Schutz der Frauen,
den Kampf gegen «Dumping-Zuwanderung» und die Förderung des
Strukturwandels hin zu wertschöpfungsstärkeren Arbeitsplätzen.
... und Konkurrenznachteilen
«Es
kann nicht sein, dass der Staat derart in die Souveränität der
Unternehmen eingreift», sagt Eva Jaisli, Chefin des Werkzeugherstellers
PB Swiss Tools. Jaisli zufolge liegt der Mindestlohn für Ungelernte in
ihrem Unternehmen schon heute über der Forderung des Initiativtexts.
Arbeiten wie die Reinigung erledige die Firma selbst; über die
Zulieferung von Dingen wie dem Verpackungsmaterial sei ein gewisser
Teuerungseffekt voraussehbar. «Die Initiative hätte für PB Swiss Tools
keine unmittelbaren Veränderungen zur Folge», sagt Jaisli. Kurzfristig
würden auch Fachkräfte mit Löhnen zwischen 4500 und 5000 Franken nicht
vom Druck eines Mindestlohnes von 4000 Franken betroffen. Trotzdem sagt
sie: «Die Industriebranche droht ihre Wettbewerbsfähigkeit im Vergleich
zum angrenzenden Ausland einzubüssen.»
Nimmt der Stimmbürger die
Warnung ernst? Die Beispielrechnungen deuten darauf hin, dass das
Portemonnaie des Konsumenten am Abstimmungssonntag vom 18. Mai eine
marginale Rolle spielen dürfte. Kostenfolgen im einstelligen Bereich,
die bis 2018 umgewälzt werden müssen, könnten für viele Konsumenten und
Betriebe verkraftbar sein.
Quelle: Tages-Anzeiger 10.3.14
siehe auch: Keine Torpedierung des Erfolgsmodells Schweiz - TA vom 10.3.14
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